tIR Spotlight No. 1 : MILITÄR ANLAGEN

Von the Image Report Gründer Jannis Chavakis. 

Meinem kürzlich viel zu früh verstorbenen Freund und bedeutenden Architekturfotografen Robert Conrad sind die Fotos dieser ersten Serie für den tIR Spotlight gewidmet. Fünf Jahre lang (2005-2010) haben wir in den Herbst und Wintermonaten rund 70 ehemalige Militäranlagen in den fünf neuen Bundesländern fotografiert. Neobarocke Bauten der Wilheminischen Zeit, dörflich anmutende Nazikasernen, sozialistische Zweckbauten der Nachkriegszeit. Robert hatte einen Plan. Dieser Plan überzeugte die Verwertungsgesellschaft Bild-Kunst in Bonn, die uns das Projekt finanziert hat. Robert kannte diese Orte, er hatte sie alle in den neunziger Jahren besucht, viele mehrfach. Seine geheimen Wege führten uns an verlassene Orte. Er war detailversessen, wollte die Geschichte hinter den Fassaden erfahren. Zu welchem Zweck wurde was gebaut, welche Materialien wurden verwendet, wer war der Architekt. Und er wusste alles. Ich habe nur auf den Auslöser gedrückt. Die Bilder hat Robert gemacht. 

Mit  dem Abzug der alliierten Truppen aus der Bundesrepublik Deutschland fielen im letzten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts eine große Zahl bislang militärisch genutzter Liegenschaften an Bund und Länder. Wir fotografierten geradezu endlose, vorher jeder öffentlichen zivilen Bestandsaufnahme und Planung entzogene Flächen mit bislang streng geheimgehaltenen baulichen Anlagen gerieten so innerhalb weniger Jahre von einem Dasein als weiße Flecken auf der Landkarte in den Aufgabenbereich staatlicher und kommunaler Stadtplanung und baulicher Landesentwicklung. Auf dem Territorium der Neuen Bundesländer hinterließen seit dem Fall des Eisernen Vorhangs die Westgruppe der GUS-Truppen nach ihrem Abzug bzw. Einheiten der Nationalen Volksarmee nach ihrer Auflösung riesige brachliegende Areale. Durch die Aufhebung militärischer Nutzung und Geheimhaltung sind zahlreiche bauliche Zeugnisse der Militärapparate des kaiserlichen Deutschen Reiches, teilweise der Weimarer Republik, vor allem des deutschen NS-Staates und außerdem der Sowjetunion und DDR einer zivilen Erfassung, Begutachtung und eventuellen Nutzbarmachung zugänglich geworden. 

Bis heute haben sich diese über Jahrzehnte abgeschotteten und dadurch noch weit gehend original erhaltenen Areale eine erstaunlich grosse kultur- und sozialhistorische Authentizität bewahrt.“

Neben militärtechnischen Anlagen wie geräumten Waffendepots, Werkstätten, Garagen oder Flugzeughangars umfaßt diese Hinterlassenschaft ein ungeheures Bauvolumen ehemaliger Verwaltungs-, Sozial- und Wohnbauten: auf den verlassenen Kasernenarealen stehen Mannschaftsunterkünfte, Bürogebäude, Sporthallen, Theaterbauten, gartenstadtartige Einfamilienhaussiedlungen und Wohnblöcke in Plattenbauweise. Das Spektrum der hier zu entdeckenden Architektur reicht von den konservativen historistisch-akademischen Schulen der Kaiserzeit mit Bauten im Stile alter Schlossanlagen über sachlich-moderne Bauauffassungen mit Betonskelettbauten und Bauhaus-Elementen bis hin zum industriellen Plattenbau der DDR. Gerade auf dem Gebiet der heutigen Bundesländer Brandenburg, Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern, in traditionell strukturschwachen und damals strategisch interessanten Gebieten entstanden im Zuge der nationalsozialistischen Aufrüstungspolitik besonders repräsentative Militäranlagen.

Das Militär genoß im „Dritten Reich“ besondere Privilegien, die sich auch in hohen materiellen Aufwendungen für seine Bauten ausdrückten sowie in dem Anspruch, sich einer besonders „fortschrittlichen“ Architektursprache zu bedienen. Zu diesem Zweck beschäftigte die Bauabteilungen entgegen der staatsoffiziellen Propaganda u. a. auch Absolventen des Bauhauses, die im Rahmen der vorgeschriebenen „Blut-und-Boden“-Ästhetik durchaus moderne Architektur schufen, die sich auch an internationalen Standards, vor allem in Skandinavien und Großbritannien orientierte. Zu den Architekten, die für das NS-Militär arbeiteten, zählten auch bekannte Planer wie Hans Poelzig, der in der Weimarer Republik u. a. das Scheunenviertel in Berlin neu beplante, Egon Eiermann, der später den Neubau der Berliner Gedächtniskirche entwarf, oder Sergius Ruegenberg, später Teilnehmer an der Internationalen Bauausstellung Berlin-Hansaviertel.

Der Sinn des militärischen Bauprogramms bestand freilich ohne Zweifel darin, die hier stationierten Soldaten und Zivilbeschäftigten zu indoktrinieren und dem menschenverachtenden Staat gefügig zu machen.

Der Sinn des militärischen Bauprogramms bestand freilich ohne Zweifel darin, die hier stationierten Soldaten und Zivilbeschäftigten zu indoktrinieren und dem menschenverachtenden Staat gefügig zu machen. Nach 1945 wurden die meisten dieser Areale von den Truppen der Sowjetarmee und später zum Teil auch der Nationalen Volksarmee der DDR genutzt. Dies führte zu einer teilweisen baulichen Überformung von Architektur und Städtebau. Die bestehenden Anlagen wurden dabei zum Teil um weitere bauliche Zeugnisse von architekturhistorischem Belang erweitert. Bis heute haben sich diese über Jahrzehnte abgeschotteten und dadurch noch weit gehend original erhaltenen Areale eine erstaunlich grosse kultur- und sozialhistorische Authentizität bewahrt.

Vom städtebaulichen Gesamtentwurf über die verschiedensten Architekturstile bis hin zu den immer noch vorzufindenden Einrichtungsgegenständen und Propagandabildern verschiedener Armeen harren hier geschichtliche Relikte einer Sichtung und Dokumentation. Eine systematische wissenschaftlich-denkmalpflegerische Aufnahme und Untersuchung dieser Architekturensembles hat bisher noch nicht stattgefunden, denn derartige Anlagen wurden allgemein als rein wirtschaftliche Ressource angesehen. Darüber hinaus scheute man sich teilweise vor einer Auseinandersetzung mit dem baulichen Erbes des NS-Regimes und der sowjetischen Besatzungsmacht. Die Kapazitäten der Landesdenkmalämter reichen nicht aus für eine Aufarbeitung und Sicherung dieser baulichen Bestände. Vergleichbare, tiefer gehende bauhistorische Forschungen zum Gegenstand liegen bisher mit den Arbeiten von Prof. Dr. Winfried Nerdinger von der Technischen Universität München für das Bundesland Bayern und von Prof. Dr. Wolfgang Schäche von der Technischen Fachhochschule Berlin für das Bundesland Berlin vor. Ein Forschungsprojekt der Universität Potsdam unter der Leitung von Prof. Dr. Karl-Heinz Hüter machte sich um eine erste Untersuchung nationalsozialistischer Siedlungsarchitektur in Brandenburg verdient. 

Weitere Arbeiten im bundesweiten Maßstab, vor allem durch die Denkmalbehörden beauftragt, beschränken sich bisher auf eine erste, nicht vollständige Inventarisation und Katalogisierung von Bautenbeständen. Eine ganze Reihe von Einzelgebäuden und ganzen Ensembles wurde dabei inzwischen unter Denkmalschutz gestellt, der sich jedoch angesichts des zunehmenden Verfalls der Bauten bei anhaltender regionaler wirtschaftlicher Stagnation und sinkender Bevölkerungszahlen in den fünf Neuen Bundesländern kaum mehr praktisch durchsetzen lässt. Auf den ökonomisch attraktiven Teilen der Anlagen – beispielsweise in Großstadtnähe und mit guter Verkehrsanbindung – lastete im Rahmen der Konversionsprogramme von Bund und Ländern ein erfreulich starker Modernisierungsdruck.

Daraus jedoch resultierende Abriss- und Umbaumaßnahmen führten größtenteils zum Verlust oder der Überformung der historischen Substanz. Für viele der Liegenschaften erfüllten sich die Hoffnungen auf eine friedliche, zivile Neunutzung allerdings nicht. Und im Kontext der demografischen und wirtschaftlichen Entwicklungen mit für die kommenden Jahrzehnte prognostizierten Stadtschrumpfungen in Deutschland ist auch nur bei den wenigsten der aufgelassenen Militärstandorte jetzt noch mit der Realisierung neuer Nutzungen zu rechnen. Es fehlen Investoren und Konzepte. Inzwischen haben die mit dem Unterhalt der ruinösen Bausubstanz überforderten Gemeinden mit dem „Rückbau“ – also Abriss – der historischen Anlagen begonnen. Sie werden dabei im Rahmen von Förderprogrammen der Europäischen Union unterstützt.

Es ist zu erwarten, dass die Anlagen in wenigen Jahren im Grossen und Ganzen verschwunden sein werden, so dass die Zeit für eine architektur- und sozialgeschichtliche interessierte Dokumentation inzwischen besonders drängt. Unsere Fotodokumentation soll repräsentative Beispiele dieser Architektur als Zeugnisse des 19. und 20. Jahrhunderts in all ihrer historischen Problematik auch in Zukunft erlebbar machen.


Anmerkung – Zwischen 2005 und 2010 haben wir um die 600 Großformat Negative belichtet mit dem Ziel, eine Wanderausstellung begleitet mit einem Katalog einem großen Publikum zu zeigen.